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Fugen im Nassbereich: verantwortliche Gewährleistung oder „Pfusch mit Wartungsfugen“? Experten im Gespräch (IVD 745)

Experten auf gemeinsamem Boden Gerade im Nassbereich sind Fugen nicht nur durch ihre Funktion als Anschluss- oder Dehnungsfugen definiert,. Und die Gewährleistung endet nicht immer zwei Jahre nach der Abnahme. Hier kommt nämlich häufig auch die „Wartungsfuge“ ins Spiel. Ist diese eine Fuge, bei der man darauf warten kann, dass der Sanierungsfall eintritt? Ist sie ein Instrument, um die Gewährleistung zu umgehen? Dient sie dem Handwerk dazu, auf Dauer Nachfolgeaufträge zu sichern? Oder dem Auftraggeber dazu, permanent Nachbesserungen verlangen zu können? Diese Fragen diskutierten Vertreter von Investoren, Handwerk und Industrie im Rahmen einer Expertenrunde des INDUSTRIEVERBANDES DICHTSTOFFE E.V. IVD in Düsseldorf. Ihr Thema „Fugen im Nassbereich – verantwortliche Gewährleistung oder ‚Pfusch mit Wartungsfugen’?“ beleuchtet in besonderem Maße die spezielle, vor allem rechtliche Problematik des Begriffs „Wartungsfuge“ und den richtigen Umgang damit.
Reklamationsdruck im Verdrängungsmarkt
Wo der Markt enger wird, unter den Marktteilnehmern aber nicht im gleichen Maße eine Bereinigung stattfindet, kommt es zwangsläufig zum Verdrängungswettbewerb.. „Zeigt sich hier“, so Louis Schnabl, „was Produkte und was Planer/Verarbeiter wirklich taugen? Führt dieser rigorose Verdrängungswettbewerb zur Auslese der Besten? Oder müssen wir – als Folge des ‚gnadenlosen’ Preisdrucks – eher eine zwangsläufige Nivellierung nach unten feststellen, also auch zu handwerklich immer schlechteren Ausführungen?“ Dr. Steffen Spenke, Vorsitzender Fachverband Wohn-Wintergarten e.V., sieht das differenziert: „Es macht einen Unterschied, ob der Auftraggeber ein Investor oder Verwalter ist, der mit der Immobilie kurzfristig Geld verdienen will, oder der Nutzer selbst. Bei letzterem hat sich bei aller Abneigung, Geld auszugeben, doch weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass Pfusch ihn letztlich teurer zu stehen kommt.“ Nur fehlt ihm oft die Kenntnis, Qualität und Pfusch oder auch Überteuerung ohne Gegenwert zu erkennen. Bei denen aber, die sich mit der Thematik beschäftigen, macht sich die gesellschaftlich leider akzeptierte Geiz-ist-geil-Mentalität negativ bemerkbar. „Das erhöht häufig völlig unberechtigt den Reklamationsdruck“, so Prof. Dr. Josef Felixberger, 1. Stellv. Vorsitzender des IVD und Vorsitzender Technischer Arbeitskreis des IVD (TAK), „wobei es gar nicht um das Erreichen der gewünschten Qualität geht, sondern um die Preisminderung – Reklamationen als fester Bestandteil der Gesamtkalkulation.“ „Umgekehrt“, so Louis Schnabl, „nutzen häufig auch Handwerker das scheinbar problemlose Schlupfloch der Wartungsfuge, um über eigenen Pfusch und mangelhafte Leistung hinwegzutäuschen. Diesen Handwerkern muss im wahrsten Sinne des Wortes das Handwerk gelegt werden. Wir brauchen Qualität in der Ausführung. Erkennbar. Nur so kann der Investor – ganz in unserem Sinne – die Spreu vom Weizen trennen.“

Qualität als Luxus?
Für Felixberger wächst aus dieser Entwicklung eine tatsächliche Gefahr für die Qualität der Arbeit. Es macht sich bemerkbar, dass im Zuge des EU-Rechts der Meisterzwang faktisch ausgehöhlt ist. So kommt es auch teils aus Unvermögen, teils aus Anpassung der Arbeitsausführung an die Ertragssituation zunehmend zu Pfusch. Felixberger: „Der Bauherr schafft also häufig problematische Rahmenbedingungen und legt dem Ausführenden, der Angst hat, den Auftrag nicht zu bekommen, aber dann die Daumenschraube der Gewährleistung an. Und der greift ebenfalls dann häufig zum scheinbar letzten Ausweg, der Wartungsfuge.“

Warten auf Schäden oder warten gegen Schäden?
Ist die Wartungsfuge die Fuge, bei der man warten kann, dass was passiert? Ist sie ein Marketingtrick oder einfach eine unabdingbare technische Forderung? Ein beliebig anzuwendender Freibrief für permanente Nachbesserung? DIN 52460 – Fugen- und Glasabdichtungen, Begriffe – sagt dazu: Die „Wartungsfuge ist eine starken chemischen und/oder physikalischen Einflüssen ausgesetzte Fuge, deren Dichtstoff in regelmäßigen Zeitabständen überprüft und ggf. erneuert werden muss, um Folgeschäden zu vermeiden“. „Nicht die normale, sondern die besondere Beanspruchung macht die Fuge erst zur Wartungsfuge“, so Kurt Haaf, Technischer Vorsitzender Fachverband für Fugenabdichtung e.V. (FVF). „Dichtstoffe haben in ihrer Belastbarkeit zwar Grenzen. Diese werden aber bei normaler Nutzung nicht erreicht oder überschritten. Allerdings gibt es Einsatzgebiete, bei denen grundsätzlich mit einer Überbelastung und damit Schädigung des Dichtstoffes und somit der Abdichtung nach einer gewissen, von der jeweiligen Beanspruchung stark abhängigen Gebrauchsdauer gerechnet werden muss. Dabei handelt es sich nicht um Material- oder Verarbeitungsfehler, sondern um Abnutzung durch besondere Beanspruchungen, die vorauszusehen sind.
Die kommt vor allem bei Bodenfugen, bei LAU- bzw. HBV-Anlagen und unter Dauernassbelastung in Feuchträumen oder unter Wasser zum Tragen, sei es z.B. im privaten Sanitärbereich, in öffentlichen Schwimmbädern, aber auch im Wintergartenbau. Da also, wo Schäden zu Wassereintritt und damit zu manifesten Feuchteschäden oder zu einer mangelhaften Abdichtung z.B. gegen chemische Medien führen.

Vom Problem zur Chance
Was können Investierende, Ausschreibende, Planende, Ausführende, Gutachter und Nutzer (inkl. Reinigungspersonal) jeder für sich und alle gemeinsam tun, um dem „Pfusch“ das Wasser abzugraben?
Rechtsanwalt Jürgen Stüve, Spezialist für Baurecht: „Die Wartungsfuge unterliegt nicht der Gewährleistung üblicher Verfugungsarbeiten. Dies hat zur Konsequenz, dass die Wartungsfuge bereits vor der Ausführung benannt und festgelegt sein muss. Welche Fuge als Wartungsfuge eingestuft werden soll, muss also schon in Ausschreibung und Angebot festgeschrieben werden. Ein ‚Nachkarten’ im Schadensfall ist nicht möglich.“ Hier sind insbesondere der Planer und der Ausführende gefragt. „Das fängt damit an“, so Dipl.-Ing. und Fliesenlegermeister Erhard Hopp, öff. bestellter und vereidigter Sachverständiger, Bundesfachverband Öffentliche Bäder e.V., „dass schon vor Aufnahme der Arbeiten durch den Ausführenden sehr genau zu prüfen ist, ob es überhaupt eine Planung gibt (sonst übernimmt er auch das Planungsrisiko). Ob die Planung der Ausschreibung auch entspricht und ob die Vorgewerke die Voraussetzungen für eine fachgerechte Verfugung nach den Regeln der Technik geleistet haben. Hier besteht eine klare Informationspflicht an den rechtlichen Vertreter des ausführenden Betriebs, der dann ggf. wiederum in schriftlicher Form ‚Bedenken anzumelden hat’.“
„Wenn es allerdings soweit ist“, so Dipl.-Wirtsch.-Ing. Rudolf Voos (Berlin), Geschäftsführer Fachverband des Deutschen Fliesengewerbes im ZDB: „ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Wer Vorleistungen erbringt, muss vorher mit ins Boot geholt werden.“
Wenn Planung, Ausschreibung und die Ausführung der Vorgewerke stimmen, hat das ausführende Gewerk als der eigentliche Fugenspezialist zusammen mit der Industrie, die ihm die geeigneten, qualitativ hochwertigen Materialien zur Verfügung stellt, sicher eine Schlüsselrolle.

Aufklärung tut not
Rudolf Voos: „Wenn von Seiten des Planers und des Ausführenden alles richtig gemacht wurde, kommt nach Fertigstellung des Gebäudes der Punkt, an dem die meisten Fehler gemacht werden. Es gilt, den Investor bzw. Nutzer nachhaltig aufzuklären, wie die Wartungsfuge sachgerecht zu nutzen ist, zum Beispiel bei der Reinigung. Wir müssen aber auch klarstellen: Selbst bei sachgerechter Nutzung bedarf die Wartungsfuge einer regelmäßigen Prüfung und Nachbehandlung.“ Auf der sicheren Seite, betonte Stüve, sei dabei nur, wer sich die „Gebrauchsanweisung für die Wartungsfuge“ unterschreiben lässt. Das ist nicht immer leicht zu vermitteln. „Hier sind die Verbände gefragt“, so Robert J. Falch, Mitglied im Beirat des IVD, „sicherlich der IVD als Verband der Industrie, aber eben auch die Verbände der ausführenden Gewerke, etwa der Fliesenleger, oder der Bauherren. Eine gemeinsame Aufklärungskampagne tut not.“ Zum einen in Richtung der permanenten Qualifizierung der Ausführenden und der Information der Planer und ausschreibenden Stellen. Aber eben auch in Richtung auf die Nutzer und vor allem die Rechtsprechung. „Das sollte nicht allzu schwer fallen. Wer Milch kauft, weiß, dass es sich um einen Verfallsartikel handelt. Wer ein Auto fährt, für den ist die regelmäßige Wartung selbstverständlich.“ Was im Bereich dieser Konsumprodukte an Aufklärung gelungen ist, muss auch im Bereich bautechnischer Konstruktionen, Systeme und Produkte funktionieren. Vor allem, wenn die Investition in die Wartung Werterhaltung ist.

Fachbetrieb gibt Sicherheit
Ob in öffentlichen Schwimmbädern, wo Kinder lustvoll im Fugendichtstoff pulen, oder im HBV-Bereich, wo vielleicht mechanische Teile die Fugenoberfläche verletzen – Wartung heißt, „mit kritischem Blick über die Fugen zu gehen“. Solchen mechanischen Angriffen ist auf Dauer der beste Dichtstoff nicht gewachsen. „Das ist dann auch kein Fall für die Gewährleistung mehr, auch wenn die Versuchung für den Investor groß ist“, so Haaf, „wohl aber ein Fall für die Wartung. Denn jeder Betrieb fällt aus der Gewährleistung heraus, wenn er die Wartung nicht vornimmt.“ Und das kann durchaus für den Investor bedeuten, die abgedichteten Flächen z.B. im Tankstellenbereich ggf. täglich zumindest optisch zu kontrollieren. „Noch besser lässt sie sinnvollerweise über die optische Prüfung hinaus regelmäßig von einem Fachbetrieb warten“, so Haaf. „Denn Wartung heißt auch, Betreiberfehler zu überwachen – in seinem Interesse.“ HS